Wider die Digitale Diktatur: „Freie Informationen sind das Rohöl einer lebendigen Demokratie“

Es ist paradox: Noch nie war es so einfach, seine Meinung zu äußern dank unzähliger Plattformen und Kanäle. Noch nie aber entschieden auch so wenige Menschen über die Regeln dieser Plattformen. Noch nie war die vor allem für unsere Demokratien entscheidende freie Meinungsbildung damit derart in Gefahr. Und noch nie waren die Zeichen, dies zu erkennen, so offensichtlich. Und trotzdem tun wir nichts. Wie kann das sein? Es ist Zeit für einen wütenden Aufschrei. Wir müssen handeln!

Dabei ist das, was ich schreibe, banal, wenig originell oder überraschend. Aber dennoch tun wir nichts. Das, was ich schreibe, ist zudem hier und da oberflächlich und zugespitzt – aber Differenzierung hilft nicht mehr.

Collage mit Verwendung von Pexels/Suzy Hazelwood/1098515

Was ist das Problem?

Drei Dinge passieren in diesen Tagen parallel:

Erstens führt uns Elon Musk vor, was passiert, wenn ein Mensch mit viel Geld (oder anderen Machtinstrumenten) beabsichtigt, eine Debatten-Plattform nach seinem Gusto zu verändern. Ob er Twitter nun kauft (oder gekauft hat), ob er dort in den Aufsichtsrat einzieht (oder es schon wieder abgelehnt hat), ist fast egal: Das, was Musk in diesen Tagen betreibt, zeigt uns, wie anfällig die Organisationsstrukturen der großen Plattformen für Einfluss von außen sind. Nach dem Motto: Was mir nicht gefällt, das ändere ich. Was meinem Verständnis von freier Debatte widerspricht, ändere ich – unabhängig davon, ob ein gesellschaftlicher Konsens das ganz anders sehen würde.

Es geht nicht nur um Twitter. Dasselbe gilt für Meta (mit Facebook, Instagram, Whatsapp und erheblichen Marktanteilen an VR-Plattformen), für Google, Amazon, Spotify, LinkedIn, Snapchat und TikTok: Ausschließlich dem einen Zweck – möglichst großem Gewinn – verpflichtete internationale Konzerne bestimmen zunehmend die Meinungsbildung, zumindest in den „westlichen“ Demokratien.

Zweitens lernen wir in diesen Tagen, was Abhängigkeit bedeutet: Deutschland wusste, dass es abhängig ist von russischen Öl- und Gaslieferungen. Nun versucht es, sich aus dieser einseitigen Abhängigkeit zu befreien. Und der öffentliche Diskurs markiert deutlich: Abhängigkeit von einem Anbieter bei lebenswichtigen Gütern ist gefährlich, schränkt die Handlungsfähigkeit eines Staates ein.

Wie steht es aber um das immaterielle Gut unabhängiger Informationen? Wissen wir hier nicht auch um unsere Abhängigkeit von einigen wenigen Akteuren – in diesem Fall nicht Staaten, sondern Plattformen? Trotzdem nehmen wir sie erst einmal hin. Dabei ist freie Information das Rohöl einer lebendigen Demokratie.

Drittens führt uns der Krieg in der Ukraine genau das vor: wie entscheidend, wie geradezu lebenswichtig unabhängige Informationen sind. In diesem Zusammenhang aber gelingt es dem Konzern Meta sogar, im der öffentlichen Wahrnehmung Boden gut zu machen: Russland hat die Plattformen Facebook und Instagram als „extremistische Organisationen“ verboten. Die freie Welt jubelte auf und klopfte Marc Zuckerberg auf die Schultern dafür, dass er sich auf die „richtige“ Seite geschlagen habe (beispielsweise hier). Meta entschied sich sogar dafür, in einigen Ländern Aufrufe zu Gewalt gegen Vladimir Putin und russische Soldaten, sogar Todesdrohungen, zu erlauben. Wäre diese Entscheidung anders herum ausgefallen, hätte Meta Todesdrohungen gegen den ukrainischen Präsident erlaubt – der weltweite Aufschrei wäre riesig gewesen. Ja, Meta hat aus meiner Sicht in diesem Fall moralisch richtig gehandelt.

Das Frappierende ist doch, dass der Konzern Meta sich allein entscheidet, auf welche „Seite“ er sich schlägt. „Allein“ heißt in diesem Fall: ohne jegliche öffentliche Aufsicht. Ohne ernstzunehmende Konsultation mit einer Öffentlichkeit (das Facebook Oversight Board ist nur Augenwischerei ohne bindende Wirkung).

„Allein“ heisst, dass sozial auffällige Ex-Teenager wie Elon Musk oder Marc Zuckerberg entscheiden, wie die Meinungsbildung in der westlichen Welt läuft. Oder eben chinesische Oligarchen (bei TikTok), die an der Kandare des Regimes in Peking Unabhängigkeit vorspielen, aber kuschen, sobald der Staats- und Parteiapparat zuckt.

Es gibt so viele deutliche Zeichen für das, was da passiert: neben der Ukraine oder den Geschehnissen bei Twitter auch der Skandal um Cambridge Analytica mit massivem Einfluss auf den US-Wahlkampf oder den Brexit. Zuletzt die massive Kampagne Russlands, die TikTok-Creator auf Spur brachte und Millionen Nutzer*innen Moskaus Propaganda ausspielte.

Was bedeutet das?

Wir sind nur wenige Schritte davon entfernt, dass alternative Medien, neben den großen Plattformen, ihr Publikum nicht mehr erreichen, dass Facebook, TikTok & Co. unsere Meinungsbildung beherrschen. Wir sind nur wenige Schritte davon entfernt, dass Einzelne intransparent entscheiden, was wir lesen und damit wissen dürfen, unterstützt von Algorithmen, die mehrheitlich von weißen, gut verdienenden Männern programmiert werden (der Bias von Algorithmen ist ein weiteres, komplexes Thema, auf das hier nicht näher eingegangen werden soll).

Aber wollen wir weißen, sozial auffälligen Männern, chinesischen Diktatoren und voreingenommenen Algorithmen wirklich die Entscheidung darüber überlassen, was wir denken? Die millionenfach das verbreiten, was polarisiert und Gesellschaft spaltet? Die alles daran setzen, global Meinung zu beherrschen, weil dann ihre Kasse klingelt?

„Digitale Diktatur“ scheint als Teufel an der Wand etwas weit gegriffen. Wenn eine „Diktatur“ aber als Herrschaftsform verstanden wird, die sich durch eine einzelne regierende Person, den Diktator, oder eine regierende Gruppe von Personen (z. B. Partei, Militärjunta, Familie oder die Führungsriege einer monopolistischen Plattform) mit weitreichender bis unbeschränkter politischer Macht auszeichnet, dann sind wir nicht so weit davon entfernt. Was wäre, wenn sich Meta auf Putins Seite geschlagen hätte? Was wäre, wenn ein größenwahnsinniger amerikanischer Präsident die Konzerne in seinem Land und damit Meinung gleichschaltete? Mir fiele mindestens ein Kandidat ein, dem ich das zutrauen würde.

Wie war das nochmal mit der Meinungsvielfalt?

Warum haben wir uns in Deutschland ein kompliziertes Mediensystem mit zahlreichen Checks & Balances geleistet? Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Rundfunkräten, dezidierter Staatsferne, föderal organisiert und über einen „Beitrag“ – und eben keine Steuer – finanziert? Mit Landesmedienanstalten, die privaten Rundfunk beaufsichtigen? Ein System, das in vielen unserer Nachbarländer Vorbilder gefunden hat und seit dem 2. Weltkrieg ähnlich organisiert ist? Warum sind beispielsweise Verlage außenplural organisiert, warum ist das Bundeskartellamt mit besonderer Kompetenz und strengeren Regeln als bei reinen Wirtschaftsunternehmen für die Fusionskontrolle im Medienbereich zuständig?

Weil wir überzeugt davon waren, dass die freie Meinungsäußerung zu schützen ist. Weil wir überzeugt davon waren, dass nicht zu viel Meinungsmacht in der Hand weniger konzentriert sein darf. Gilt das etwa nur in der analogen und linearen Welt, für gedruckte Zeitungen und Rundfunk über Antenne? Wie kann es sein, dass wir Übernahmen im Verlagssektor untersagen, während internationale Konzerne munter Meinungsmonopole zimmern? Meta wäre in Deutschland mutmaßlich zerschlagen worden, wenn es den Regeln linearer Medienkonzerne hätte gehorchen müssen.

Ist digitale Meinungsvielfalt weniger Wert als lineare? Ist sie nicht ebenso schützenswert? Warum werfen wir in der digitalen Welt die Werte über den Haufen, die wir in der linearen Medienwelt verteidigen?

Und was tun wir?

Wir zucken mit den Schultern, nutzen weiter die Familien-, Kindergarten- und Schul-Whatsapp-Gruppe („auf Signal fehlen ja drei Mitglieder“), teilen mit Opa und Oma auf Facebook Urlaubsbilder und sonnen uns auf Instagram. Unsere Kinder sind auf TikTok unterwegs, der meist unterschätzen (weil Erwachsenen weitgehend unbekannten) Plattformen und sehen dort vor allem Corona-Kritik, Kriegspropaganda und falsche Schönheitsideale.

„Den Kopf in den Sand zu stecken“ bedeutet in der digitalen Welt, den Kopf gesenkt hinter unseren Handyscreens zu verstecken. Statt mit unseren Kindern zu lachen, verbringen wir Stunden damit, unsere Nutzungsdaten ins Silicon Valley zu beamen. Statt aufzustehen und zu handeln, sind wir das denkbar schlechteste Vorbild für reflektiertes Mediennutzungsverhalten, individuell wie auf gesellschaftlicher Ebene.

Denn die, die Politik und Medien gestalten, verweisen bequem auf den „Too Big To Fail“-Unsinn. Erinnert sich jemand an Myspace? Gibt´s nicht mehr. Das Römische Reich übrigens auch nicht. Plattformen können auch eingehen, wenn ihnen die Nutzer*innen weglaufen. Nur tun wir kaum etwas dafür, die großen Plattformen heute zu schwächen, im Gegenteil.

Wir beschäftigen uns mit „Rückleitungsstrategien“, das heisst: Erst einmal veröffentlichen Verlage und Sender ihre kostbaren Inhalte auf Facebook, Youtube, TikTok & Co., um im zweiten Schritt zu versuchen, Nutzer wieder in Mediatheken und eigene Angebote zu lotsen. Das Kind ist so tief im Brunnen, dass wir manche Nutzer*innen anders auch nicht mehr erreichen würden.

Was wir aber eigentlich tun: Wir stärken mit unseren Inhalten weiter die, die unsere Werte verachten. Wir stärken mit Erklärvideos, abgewogener Diskussion und konstruktivem Journalismus die Konzerne, die verwirren, polarisieren und zerstören. Solange Menschen unsere Angebote auf polarisierenden, demokratiefeindlichen Plattformen finden, werden sie sie auch weiter nutzen.

Wir Medien stecken die Fördermittel ein, mit denen uns Google´s „Digital News Initiative“ und das „Facebook Journalism Programme“ locken. Geld, das die Plattformen auch verdient haben, weil sie die klassischen Medien fortwährend schwächen. Diese angeblichen Förderprogramme sind an Zynismus nicht zu überbieten: Diejenigen, die klassische Medien zerstören, gewähren großzügig lebensverlängernde Finanzspritzen. Und wer auf Zitate von Menschen wie Nick Clegg verweist, dem „President for Global Affairs“ bei Meta, der verständnisvoll und differenziert versucht, sein Unternehmen freundlicher wirken zu lassen, dem sei gesagt: Das ist alles Schein, höchstens good-will, aber ohne jede belastbare Basis dafür, dass sein Konzern sich nicht auf die „andere“ Seite schlägt, wenn es Spitz auf Knopf steht. Marc Zuckerberg hat jede Vorkehrung getroffen, dass auch seine Nachfahren das Sagen im Konzern haben – und kein „President Of Global Affairs“ oder „Oversight Board“. Sie alle agieren nur nach Zuckerbergs Gnaden.

Was müssen wir tun?

Wir – jeder einzelne – müssen uns heute von WhatsApp abmelden und Alternativen nutzen.

Wir müssen uns von Facebook und Instagram abmelden und unsere Kinder überzeugen, TikTok den Rücken zu kehren.

Wir müssen die stille Macht von Spotify über die Musik, die wir lieben, und das Wort, dem wir lauschen, in Podcasts hinterfragen und Alternativen stärken.

Wir müssen damit jetzt anfangen, bevor es zu spät ist.

Wir müssen die bestehenden Plattformen schwächen, indem wir unsere Inhalte dort nach und nach nicht mehr veröffentlichen.

Wir müssen alternative Plattformen stärken: Es gibt sie ja! Beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Mediatheken, oder die der Privatsender, die endlich über eine Zusammenarbeit sprechen! Oder Internet-Nischen wie piqed, DuckDuckGo, Qwant (vom Springer-Konzern) – oder die Produkte der Mozilla Foundation.

Das bedeutet auch: Wir müssen alternative Finanzierungsmodelle – Bezahlung und Werbung – für Medien und die Creator-Economy entwickeln. Denn nur, wenn ein alternatives Ökosystem auch Einkommen sichert, wird es stark genug sein, um zu bestehen.

Wenn wir nicht damit beginnen, ein alternatives Plattform-System zu bauen, gibt es auch keine digitalen Orte, an denen wir uns statt auf Facebook, Youtube und TikTok treffen können. Wir brauchen diese Orte aber, spätestens dann, wenn Medienpolitik die großen Plattformen einschränkt.

Dieser Text ist nicht der richtige Ort, um die Struktur dieser alternativen Plattformen zu entwerfen (damit beschäftigen sich Initiativen wie beyondplatforms.) Aber wir müssen damit beginnen, ins Gespräch kommen, und schnell aufbauen, ausprobieren, Erfahrungen sammeln.

Wir müssen gemeinsam handeln – öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk, Zeitungs- und Zeitschriftenverlage genauso wie diejenigen, die digital hochwertige Inhalte produzieren (ob wir sie nun Content Creator oder Journalisten nennen). Während öffentlich-rechtliche Sender und Verlage ihre immerwährende Fehde über Onlineinhalte ausfechten und sich gegenseitig schwächen, ziehen die Plattformen als lachende Dritte an beiden vorbei.

Wir müssen unsere Medienpolitik reformieren und handlungsfähig machen: Oft sind wir im Medien-Föderalismus noch nicht einmal in der Lage, national handeln (siehe der Streit um den Rundfunkbeitrag oder die anachronistischen Regeln der Medienaufsicht). Wir beschränken uns darauf, einen Teil der Meinungsmaschine zu regulieren – nämlich den, der in Deutschland greifbar ist. Damit benachteiligen wir Verlage und Sender in Deutschland gegenüber internationalen Plattformen, die dagegen quasi unreguliert Inhalte verbreiten.

Medienpolitik muss Meinungsvielfalt sichern – beispielsweise, in dem Algorithmen veröffentlicht werden müssen und demokratisch legitimierte Gremien die Inhalte der Plattformen beaufsichtigen. Vermutlich muss Medienpolitik auch entflechten (also enteignen), wenn eine Plattform in einem Publikumssegment zu große Meinungsmacht auf sich konzentriert. Sie muss den Zugang blockieren, wenn strafbare Inhalte nicht gelöscht werden (Telegram hat gerade noch die Kurve bekommen).

Wie einflussreich und mächtig die großen Plattformen sind, sehen wir Tag für Tag. Es ist Zeit zu handeln, Zeit, die Meinungsvielfalt und damit unsere Demokratien zu verteidigen und den Einfluss der großen Plattformen entschieden zurückzudrängen.

Geschichte fragt rückblickend immer auch: Und was hast Du getan? Wir können nicht sagen, dass wir nicht gewusst haben, wie groß die Gefahr für unsere Demokratien ist. Wenn die großen Plattformen weiter erstarken – und das ist ohne jeden Zweifel ihr Ziel! -, dann ist der Weg zur Digitale Diktatur nicht weit.