Im Zuge eines vermeintlichen Kulturwandels werden manche Unternehmen zu “Möchtgern-Unternehmen“: Sie geben vor, etwas anderes zu sein als sie sind. Die Folgen spüren vor allem die Mitarbeitenden. Wie das (und was genau) passiert?
Kaum ein Prozess wird in Unternehmen mehr unterschätzt als ein nachhaltiger Kulturwandel: Er braucht Ressourcen, er braucht Zeit und das Commitment (auch) der obersten Führungsebene. Uff. Mancher wünscht sich da (zu recht): Wenn wir nur schon weiter wären!
Schafft es dieser Wunsch, die Kommunikation im Unternehmen zu verändern, kann ein Problem entstehen: Obwohl das Unternehmen den Kulturwandel (noch) nicht ernsthaft betreibt, klingen durch Meetings und Strategien schon manche Buzzwords. Es wird gesagt, das Unternehmen sei jetzt schon “agil“, man arbeite in flachen Hierarchien. Die Fehlerkultur habe sich bereits geändert – jeder dürfe ausprobieren und Fehler machen. Und so weiter.
Einzig: Das Unternehmen steht bei diesen Themen eben noch auf dem Startblock. Die Worte sind nur eine Ankündigung. Würden sie als solche markiert, würden sie einen Weg beschreiben, wäre das aus meiner Sicht prima. Oft genug wird der Prozess selbst aber als zu hohe Hürde empfunden, ob bewusst oder unbewusst. Manche Führungskraft wählt die Verkündung von “Agilität” und “flachen Hierarchien” dann als Ausweg, als Beginn und Schlusspunkt gleichermaßen. Das Unternehmen wird so unterschwellig zum “Möchtegern-Unternehmen“, weil es vorgibt, eine andere Unternehmenskultur zu leben als die, die real existiert. Das geschieht vermutlich oft unbewusst, mit guten Intentionen. Aber “gut gemeint” ist manchmal leider nicht gleich “gut gemacht”.
Ein Beispiel: Kürzlich durfte ich einer unternehmensweiten Schalte lauschen, in der eine Unternehmensleitung den durchaus eindrucksvollen neuen Prozess für strategiegetriebene Produktinnovation vorstellte. Der CEO sagte in einem Nebensatz: “Dies ist ein echter Kulturwandel”. Hier liegt für mich das Missverständnis: Denn der Prozess zur Produktinnovation kann allenfalls ein Element des Kulturwandels sein. Vermutlich hängt sein Erfolg davon ab, dass der Kulturwandel nachhaltig auch Organisationsstruktur, Führungsverständnis und Workflows transformiert.
Was sind die Folgen dieses Missverständnisses? Aus meiner Sicht verlieren die Mitarbeitenden (Vorgesetzte eingeschlossen) wichtige Orientierung: Als das Unternehmen noch streng hierarchisch nach Wasserfall geführt wurde und auch niemand etwas anderes sagte, wussten alle, woran sie waren. Nun hören sie, alles sei bereits anders – sie spüren aber, dass dies nicht so ist. Auf den Schultern der Mitarbeitenden lastet die Erwartung, dass sie “anders”, modern und agil arbeiten, ohne, dass sie Unterstützung durch veränderte Prozesse und Strukturen – durch eine Transformation des Unternehmens – erfahren.
Der gemeinsame Change Prozess fehlt, in dem Sorgen, Ideen zur Sprache kommen, in dem Ziele erklärt und mit Leben gefüllt werden. Denn der “Prozess” gilt (unterbewusst) bereits als “abgeschlossen” – etwas unzulässig zugespitzt wäre dies “Agilität per Dekret”.
Das verwirrt und verunsichert. Es ermüdet, weil Mitarbeitende viel Energie und Hoffnung in eine neue Haltung investieren, die aber keine Entsprechung im Unternehmen findet. Und auch die Unternehmensführung macht es sich schwer, weil die Erwartungen an die Kultur steigen – und damit möglicherweise auch die Enttäuschung wächst angesichts der realen Umstände.